Der Kotzbrocken

Der Exhibitionist

Gerade hatte ich die Eisenbahnunterführung passiert, als sich plötzlich schemenhaft aus der Dunkelheit eine Gestalt löste. Sie schien mich anzusteuern diese Gestalt. Jeden Morgen musste ich wie gewöhnlich an einer ziemlich dunklen und laternenarmen Stelle vorbei, einem kleinen Platz, an der sich vier kleine Straßen trafen. Es machte mir nicht besonders viel aus, dass die Straßen in diesen frühen Morgenstunden meist wie ausgestorben wirkten und ich selten jemand traf, der wie ich eilig zur Arbeit strebte. Diesmal allerdings verfluchte ich diesen Umstand, als ich diese Gestalt langsam aber zielstrebig auf mich zukommen sah. Dieser Mensch, es schien der Größe und der Umrisse nach ein Mann zu sein, der aber noch fast vollständig von der Dunkelheit verhüllt war, schien nicht besonders sicher auf seinen Beinen zu sein. Er torkelte etwas, hatte wohl letzte Nacht einen Zug durch die Gemeinde gemacht und war von einem Nachtlokal gegen Morgen ausgespuckt worden.
Er hatte anscheinend, so wie es aussah, geplant, dass ich seinen Weg, ob ich wollte oder nicht, kreuzte. Gerne hätte ich jetzt einen Haken geschlagen oder einen Umweg genommen. Ja, ich wäre am liebsten zurück zur Haltestelle gelaufen. Angetrunkenen in dieser frühen Morgenstunde zu begegnen, erfüllte mich nicht unbedingt mit Freude.
Es blieb mir jedoch nichts anderes übrig, ich musste an ihm vorbei, um in die schräg gegenüber liegende Straße einzubiegen. Die Zeit war entschieden zu knapp für Umwege. Je näher ich ihm kam, umso mehr ahnte ich, dass außer seiner angetrunkenen Verfassung noch etwas anderes mit ihm nicht stimmte. Ich hatte ihn fast erreicht, als ich sah, dass ein großes Stück des unteren Teils seines Overalls, den er trug, zu fehlen schien. Ihn genau zu betrachten wagte ich nicht. Mein Herz hämmerte Stakkato, als ich an ihm so schnell ich konnte vorbei lief. Irgendetwas hatte er undeutlich vor sich hin gebrabbelt, während er provokativ an seinem trotz der winterlichen Kälte freigelegten Unterkörper herummanipulierte. Ich beschleunigte meine Schritte noch etwas, wollte diesem Kerl nicht den Triumph gönnen, mich rennen zu sehen, obwohl mir nach Rennen zu Mute war. Ich sah mich nicht um, wagte es nicht, lief eilig weiter die Straße hinunter. Als ich auf Höhe des Hauses war, in dem ich arbeitete, stoppte ich endlich erleichtert, drehte mich um, um die schwach erhellte Straße zurück zu blicken, aber nichts mehr von dem Spuk, den ich soeben erlebt hatte, war zu sehen, alles war menschenleer, wirkte so ausgestorben wie gewöhnlich.

Jahrgang 1948, werde ich auf dem Gut Groß-Below in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Nach der Flucht aus der DDR, lande ich mit meinem Vater, einem Hochbauingenieur, meiner Mutter und deren Mutter über mehrere Stationen, in Rheinland-Pfalz und der Eifel, schließlich im Ruhrgebiet...

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