Der Kotzbrocken

Der Zahn, der nicht raus wollte

Er quälte mich schon geraume Zeit, mein oberer rechter Eckzahn, doch schob ich es immer wieder auf zum Zahnarzt zu gehen. Ich war schon viele Jahre nicht mehr bei einem gewesen, um genau zu sein, seit meinem dreizehnten Lebensjahr. Zu welchem Zahnklempner sollte ich hier mitten auf dem Land, besser Niemandsland schon gehen? Eine große Auswahl hatte ich garantiert nicht.
Nicht ich, sondern mein oberer rechter Eckzahn entschied, denn er tat so weh, dass ich irgendetwas tun musste. Der Zufall wollte es, dass am oberen Ende unserer recht kurzen Straße ein alter Zausel von Zahnarzt seine Praxis hatte. Von wahnsinnigen Schmerzen getrieben, war mir schließlich alles wurscht, mein Zahn trieb mich, ob ich wollte oder nicht. So fand ich mich an einem Montag ganz früh, nach einem ganz erbärmlichen Wochenende, bei dem alten Kämpen ein, ausschließlich von dem einzigen Wunsch beseelt, die Schmerzen mögen endlich aufhören.
Das Wartezimmer war eigenartig leer, ich schien der einzige Patient zu sein. Ich fand es zwar seltsam, jedoch war es mir nur recht. Eine ätere Frau um die siebzig bat mich in das Behandlungszimmer. Ich nahm Platz. War dies eben die Sprechstundenhilfe gewesen?  Dass es so etwas gab? Der Arzt, im gleichen Alter samt seiner Assistentin, waren die Freundlichkeit und Redseligkeit in Person. Mein Zahn schmerzte im Übrigen schon kein bisschen mehr. Was tat ich überhaupt noch hier? Der Zahnarzt wuselte trotz seines fortgeschrittenen Alters wieselartig um mich herum, textete mich dabei voll und untersuchte ganz nebenbei meinen Zahn, der sich ganz friedlich benahm. Er hatte wohl genauso große Angst, wie ich selbst. Er wurde trotzdem geröntgt, mit einem ziemlich antiquierten Gerät und festgestellt, dass er raus musste. Das auch noch!!!
Ich bekam meine örtliche Betäubung und musste warten. Während dessen lenkte mich der alte Zahndoktor mit seinen äußerst langatmigen Erzählungen ab. Inzwischen spürte ich die rechte Hälfte meines Gesichts nicht mehr und antworten konnte ich aus diesem Grund nur noch mit Mühen, da mir meine Zunge nicht mehr richtig gehorchen wollte, was meinen Behandler überhaupt nicht zu stören schien, ganz im Gegenteil. Beinahe hätte ich vergessen, warum ich überhaupt hier saß!
Auf einmal kam jedoch Schwung in die Sache. Ich sollte den Mund so weit öffnen, wie ich konnte, was ich brav versuchte. Der alte Zausel griff mit der Zange den Zahn und zog, dass heißt er versuchte zu ziehen. Er strengte sich an, legte sich mächtig ins Zeug aber nichts tat sich, mein Zahn blieb an seinem Platz. Er änderte mehrmals die Griffposition seiner Zange. Mein Zahn verweigerte sich. Der Zahnarzt bat die Sprechstundenhilfe zu sich, die ganz nebenbei seine Angetraute zu sein schien, und die sich bis zu diesem Zeitpunkt diskret im Hintergrund gehalten hatte. Sie nahm von hinten meinem Kopf in ihre beiden Hände und sollte so ein einen Gegendruck darstellen. Es war schließlich kein Gegendruck sondern ein Gegenzug. Mein Behandler zog von vorne ohne Erfolg, die Dame von hinten und ich befand mich vom Entsetzen gepackt dazwischen. Schließlich, nach längerem Gewürge, gab mein Zahn schließlich nach. Der Zahnarzt schwenkte das Corpus Delicti triumphierend grinsend vor meiner Nase herum mit den Worten: “Da haben wir ihn ja, den Übeltäter !”
Völlig erschöpft , entfernte ich mich, begleitet von einem Schwall freundlich gemeinter Worte, so schnell ich konnte aus der Praxis.

Jahrgang 1948, werde ich auf dem Gut Groß-Below in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Nach der Flucht aus der DDR, lande ich mit meinem Vater, einem Hochbauingenieur, meiner Mutter und deren Mutter über mehrere Stationen, in Rheinland-Pfalz und der Eifel, schließlich im Ruhrgebiet...

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