Reise in die Vergangenheit….

Es war ein weiter Weg zum ehemaligen Gut Gross Below in Mecklenburg Vorpommern, dem Ort, an dem ich das Licht der Welt erblickte.
Da, wo einmal die Grenze zur DDR gewesen sein musste, war nichts mehr, was auf diese hindeuten konnte, kein Stacheldraht, keine Wachtürme, keine Soldaten. Trotzdem packte mich die Muffe. Wo waren sie, die Insignien der Willkür, der Macht? Konnte es wirklich sein, dass all dies verschwunden war, dass ich so ganz einfach rüber konnte, niemand mich aufhielt?
Ich schluckte heftig gegen den Kloss im Hals an, kämpfte mit meinen Tränen, die mit aller Macht raus wollten, konnte doch nicht so einfach losheulen, was würden meine Kinder dazu sagen, wenn Mama so einfach die Nerven verlor?
Ich fühlte mich äusserst beklommen, mein Innerstes konnte nicht glauben, was ich jetzt tat und so viele Jahre nicht ungestraft tun durfte. Langsam gewöhnte ich mich daran, auf der ehemaligen anderen Seite zu sein. Das ungute und klamme Gefühl liess nach. Ich bestaunte die kanada-ähnlichen riesigen Felder, die kein Ende nehmen wollten. Die Abwesenheit von kleinen Kuh oder Pferdeweiden. Die langen Alleen mit unterschiedlichsten Baumarten bestanden. Aber auch das weniger Schöne, die Häuser mit graubeige schmutzigen Fassaden, an dessen Renovierung sich entweder niemand herantraute oder zuständig fühlte. Die vernachlässigten Plattenbauten mitten auf dem Land. Die Spuren des Sozialismus waren Mitte der Neunziger also noch nicht verschwunden. Alles sah irgendwie runtergekommen, nicht unbedingt einladend aus, so als sei denen, die darin lebten, egal wie es wirkte.
Mein Geburtsort hatte keine Ähnlichkeit mehr mit einem prosperierenden Gut oder einer LPG. Statt des Schlosses, das schon Anfang der Fünfziger abgebrannt war, stand jetzt ein einsamer unspektakulärer Plattenbau. Der Hauch von Erinnerung, die ich noch hatte, stimmte nicht mit dem überein, was ich jetzt sah. Bis auf ein paar Wirtschaftsgebäude und Stallungen, gab es hier nicht viel womit man Landwirtschaft betreiben konnte, vor allem allerdings fehlten die Menschen. Das Gut schien nahezu entvölkert zu sein.
Vierzig Jahre war es her, seitdem ich diesen Ort zum letzten Mal gesehen hatte und wenn ich die Erwartung gehabt hatte, etwas Bekanntes wieder zu finden, konnte ich das jetzt endgültig abhaken.
Zwölf Jahre später machte ich mich erneut auf ins Land meiner Väter und Mütter. Diesmal zusammen mit meiner Tochter. Wir hatten vor, vier Tage in einem Ferienhaus an der Ostsee in der Nähe von Wismar zu verbringen.
Von der ehemaligen Grenze, dem sogenannten “Eisernen Vorhang” war noch weniger wahrzunehmen als vor zwölf Jahren. Ich spürte keinen Kloss im Hals und auch keine aufsteigenden Tränen mehr, jedoch ein leicht klammes Gefühl hatte mich doch wieder im Griff.
Die Orte und Häuser auf der ehemaligen anderen Seite, inzwischen neu erbaut oder die Fassaden dem westlichen Vorbild angeglichen, unterschieden sich in nichts von denen in den so genannten alten Bundesländern. Wo war sie, die ehemalige DDR? Alles schien allzu angeglichen, erfolgreich gewendet. Jede Menge Baumärkte und Autoverkaufshäuser gab es sogar mitten auf dem Land, aber keine normale Infrastruktur, wie zum Beispiel Bäcker oder Fleischer, Supermärkte. Einen Geldautomaten konnte ich auch nirgens entdecken.
Nur einige wenige bauliche Altlasten, halb verfallene Häuser mit blinden Fenstern im Seebad Boltenhagen und in Wismar erinnerten an eine Zeit, an die sich heute wohl keiner mehr so recht erinnern wollte.
Wo war sie geblieben, die alte DDR? Hatte sie sich geschminkt, hat sie Kreide gefressen? Waren die Jahreszeit, die Nachsaison und der ausgiebige Regen dafür verantwortlich, dass ich außer einem einsamen Fischverkäufer in Strandnähe keinen Einheimischen zu fassen bekam, mit dem ich mich hätte unterhalten können?
Gerne hätte ich mich mit dem Vergangenen auseinandergesetzt und fand keinen Ansatzpunkt mehr dafür, lediglich die paar übrig gebliebenen Bauruinen.
Ein Kommentar
Pop Art
Mir erging es so ähnlich wie Ihnen. Aber man muss es einfach machen und an die Ursprünge wieder zurückkehren. So kann man einiges besser verstehen und sich selbst näher kommen.