Die Weihnachtsgans
Ein paar Tage vor Weihnachten, klingelte es plötzlich unvermutet an der Wohnungstür und jemand übergab meiner Mutter eine geschlachtete, gerupfte und ausgenommene Gans.
Meine Mutter freute sich ob dieses, in dieser Nachkriegszeit doppelt kostbaren Geschenks und verfrachtete den Vogel in den Eisschrank in unserer Küche. Dieser Eisschrank wurde nicht mit Strom, sondern wie der Name schon sagt, mit Eisblöcken gekühlt, die alle paar Tage von so genannten Eismännern auf der Schulter zu uns in die Wohnung transportiert wurden. Meine Mutter verstaute das Tier, ohne genau zu wissen, von wem das nahrhafte Geschenk stammte. Meine Eltern vermuteten, die Gans käme von einem wohlmeinenden Gönner, einem unserer ehemaligen Mitstreiter aus vergangenen landwirtschaftlichen Zeiten, denn der Überbringer der Gans hatte nicht verlauten lassen, wer der Absender des Geschenks war. Für meine Eltern allerdings war klar, dass es ein Geschenk sein müsse und gar nichts anderes sein könne. Alle freuten sich auf den vermeintlichen Braten, stellten sich auf weihnachtliche Genüsse ein. Ein paar Tage später, die Gans ruhte noch friedlich im Eisschrank, klingelte es wieder mal an unserer Haustür, jedoch diesmal in den späten Abendstunden. Draußen standen weitläufige Bekannte meiner Eltern, ein Ehepaar, und verlangten nach ihrer Gans, die sie abzuholen gedächten. Es stellte sich heraus, dass unser Eisschrank ungefragt eine Art kostenlosen Zwischenstop für die besagtes Tier sein sollte. Meine Eltern empfanden dies als perfiden Streich und empfahlen den jetzigen Weihnachtsgansbesitzern, sich nächstens ihr Geflügel, ohne diesen Umweg über unseren Eisschrank, selbst zu besorgen.