Ein Bild von mir

Exotin…

So ungern ich kurz zuvor noch zur Schule gegangen war, so gerne ging ich jetzt zur Berufsschule. In Frau Zantops Atelier war ich die Niedrigste in der Hierarchie, ein Nichts. Hier, wo alle Schneiderlehrlinge ganz Essens in einem Jahrgang versammelt waren, war ich Gleiche unter Gleichen. Hier gab es keine hierarchischen Unterschiede. Es machte mir wirklich fast alles Spass, jedes Fach und war es noch so stumpfsinnig, sogar Religion und Hauswirtschaft. Alles war besser, als Dinge tun zu müssen, bei denen ich ständig als Versager dastand. Beim Religionsunterricht beispielsweise merkte ich sehr bald, wie ich mir den Religionslehrer, einen evangelischen Pfarrer, ganz besonders gewogen machen konnte, nämlich durch besondere Aufmerksamkeit. Ich hing stets an seinen Lippen, nicht weil mich die Thematik so fesselte, nein bewahre, ich wollte lediglich Aufmerksamkeit und Bestätigung. Auch unter meinen Mitschülerinnen tat ich alles, um beliebt zu sein. Übrigens zum ersten Mal in meinem Leben. In einer Beziehung allerdings fand ich die Einschätzung meiner Mitschülerinnen bezüglich meiner Person äusserst seltsam. Sie fragten mich ganz offen, ob meine Mutter Asiatin, vermutlich sogar Chinesin sei. Im ersten Augenblick verblüfft, glaubte ich noch veräppelt zu werden. Jedoch amüsierte es mich bald kollossal, dass sie so ungeheuer daneben lagen. Ich gewöhnte mich schnell daran und genoss meinen Status als Exotin.

Jahrgang 1948, werde ich auf dem Gut Groß-Below in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Nach der Flucht aus der DDR, lande ich mit meinem Vater, einem Hochbauingenieur, meiner Mutter und deren Mutter über mehrere Stationen, in Rheinland-Pfalz und der Eifel, schließlich im Ruhrgebiet...

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