Allgemeines

Viehtrieb mit Hindernissen

Der katholische Pfarrer des Ortes hatte es nicht weit bis zu uns, er mußte nur um die Ecke gehen, sein Pfarrhau stand in Sichtweite. Bei diesen Gesprächen, die er mit meiner Mutter führte, ging es beileibe nicht um Dinge des Glaubens, es waren ganz normale Gespräche, die sich um alles mögliche drehten. Er hatte wohl sehr schnell gemerkt, daß er mit irgendwelchen Bekehrungsversuchen bei einer Spottdrossel, wie meiner Mutter sie war, kein Glück damit gehabt hätte.
Ich nahm dies nur ganz am Rande zur Kenntnis, denn ich war gewohnt, daß meine Mutter Menschen wie ein klebriges Fliegenband anzog.
Ich spielte mit Anita und ihrer Schwester Jetta lieber im halb verfallenen Schuppen neben ihrem Haus Mutter und Kind. Unsere Einrichtung bestand aus Kartoffelsäcken und unser Geschirr besorgten wir uns auf der örtlichen Müllkippe, die sich an der Nims, einem schmalen Flüßchen befand. Beides befand sich nicht weit von unserem Haus entfernt, wir mußten lediglich eine Wiese überqueren. Während dieses Abenteuers kreiste hoch über uns bedrohlich der Mäusebussard.
Wir nahmen uns Scherben von zerbrochenen Tellern mit oder Tassen mit Sprung, trugen diese Schätze in unseren Schuppen. Natürlich war es Kindern strikt verboten zur Müllkippe zu gehen und an die Nims. Aber wir machten es heimlich, so daß die Erwachsenen nicht Wind davon bekamen.
Anita durfte nicht jeden Nachmittag mit mir spielen, sie mußte auch auf dem elterlichen Hof mitarbeiten, wie alle Bauernkinder seinerzeit.
Die Gelegenheiten, an denen sie ausschließlich mit mir spielen durfte, waren selten. Meist mußte sie den Stall ausmisten oder dasVieh, die Kühe,
Schweine und Hühner füttern.
Im Sommer wurden von ihr die Kühe auf die Weide getrieben und sie abends auch wiederzurück in den Stall gebracht. Gelegentlich durfte ich sie auf dem Viehtrieb begleiten. Allerdings sollte ich, bevor ich dies tat, meiner Mutter Bescheid sagen, da wir eine äußerst stark, meist von amerikanischen Soldaten
befahrene Straße überqueren mußten.
Eines Tages stach mich der Hafer und ich sagte meiner Mutter nichts von dem, was ich vorhatte. Wir marschierten einfach mit den Kühen los und trieben sie auf die Weide. Keinen Gedanken verschwendete ich an meine Mutter und an ihre möglichen Sorgen. Als wir mit den Kühen die Hauptstraße und
unsere Schule linkerhand passiert hatten, mußten
wir an einer unbenutzten schon halbverfallenen Scheune vorbei.
Von dieser Scheune ging das hartnäckige Gerücht,es hielte sich dort ein dubioser Landstreicher, der eine Menge auf dem Kerbholz hatte, auf.
Wir gruselten uns schrecklich vor dieser Scheune und trieben die Kühe, die Scheune schön im Blick behaltend, um vor möglichen Überraschungen
sicher zu sein, so schnell wie möglich daran vorbei.
Wir blieben den ganzen Tag mit den Kühen auf der Weide. Spätnachmittags nach dem Heimtrieb empfing mich meine Mutter ziemlich aufgelöst und mit
drohendem Blick. Ich ahnte schon, daß es diesmal etwas setzen würde und hatte recht damit. Es passierte nur ganz selten, aber diesmal wurde
ich nach Strich und Faden mit einem kleinen Teppichklopfer von ihr vertrimmt.
Lange Zeit nahm ich meiner Mutter dies sehr übel. Ich verstand überhaupt nicht, warum sie sich so aufregte, denn ich war ja nicht allein über die Straße gegangen, sondern in Begleitung meiner Freundin Anita und vor allem zusammen mit zwanzig Kühen. Was hätte mir dabei schon passieren können.
Ich begriff seinerzeit überhaupt nicht, worum es meiner Mutter ging.
Ihr Einfluß auf mich wurde kleiner und dies wollte sie mit allen Mitteln rückgängig machen.
Ich hatte dort in der Eifel so viel Freiheit wienoch nie zuvor in meinem Leben und ich kostete dies weidlich aus. Ich gewann an Selbständigkeit, Sicherheit und Selbstvertrauen. Kurz, der Aufenthalt auf dem Land tat mir unerhört gut.

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Jahrgang 1948, werde ich auf dem Gut Groß-Below in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Nach der Flucht aus der DDR, lande ich mit meinem Vater, einem Hochbauingenieur, meiner Mutter und deren Mutter über mehrere Stationen, in Rheinland-Pfalz und der Eifel, schließlich im Ruhrgebiet...

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