Die Katze in der roten Baskenmütze,  Twitter

Viel ist von Flucht und Flüchtlingen die Rede in den letzten Jahren. Meine eigene aus der sogenannten DDR ist jetzt 64 Jahre her. Ich stand kurz vor meinem sechsten Geburtstag und obwohl es sich vielleicht nicht dramatisch anhört war diese Flucht nicht wenig beängstigend und außerordentlich traumatisch für mich.

Unser Vorhaben, die DDR zu verlassen, ging in die Endphase.
An einem Vormittag im August 1954 fuhr ich zusammen mit meiner Mutter und Großmutter mit der S-Bahn nach Westberlin. Wir fuhren zu meiner Großtante Else, um auf meinen Vater zu warten, der uns erst nach Dienstschluß folgen konnte.
Dies hört sich ganz undramatisch an, war es aber mitnichten. Wir hatten unsere Wohnung mit gesamtem Mobiliar zurück lassen müssen. Vor allem hatte ich meine geliebte Katze Muzel zurück lassen müssen, meine Schwester Christa und alles, was Sicherheit bedeutete. Außer dem, was wir auf dem Leib trugen und einigen wenigen Dingen, die wir hatten in den Westen schmuggeln können, war uns nichts mehr geblieben. Auch hatte ich außer meiner Negerpuppe mit Schlafaugen kein Spielzeug mehr. Wir mußten also wieder ganz von vorn beginnen. Ein Abschnitt meines Lebens war unwiderruflich beendet.
Wir übernachteten bei Tante Else, der Schwester meiner Großmutter, in der Uhlandstrasse und meldeten uns am nächsten Morgen bei der Flüchtlingsbehörde in Westberlin.
Der Papierkrieg begann.
Wer, warum, weshalb geflohen, endlos Formulare ausfüllen, Fingerabdrücke von der gesamten Familie abnehmen, auch von mir Fünfjährigen, und schließlich ins Aufnahmelager verfrachtet. Dort mußten wir einige Nächte mit anderen Flüchtlingen in einem Schlafsaal in Stockbetten verbringen.
Meine Eltern hatten beschlossen, nicht in Berlin zu bleiben, also warteten wir darauf, von der amerikanischen Besatzung ausgeflogen zu werden.
Nach zwei Wochen war es soweit, wir wurden in einem Bus zusammen mit anderen Flüchtlingen zum Flughafen Tempelhof transportiert. Für mich war es ein Riesenflugzeug, in das ich da einsteigen sollte. Ich hatte noch nie zuvor so etwas gesehen. Dieses große lange Etwas mit vier Propellern, es war vermutlich eine viermotorige Pan Am, faszinierte mich sehr. Der Flug sollte nach Frankfurt am Main gehen.
Wir waren gerade gestartet, als sich schon eine freundliche junge Dame zu mir herunter beugte und mir Bonbons anbot. Ich wagte nicht sie anzunehmen, aber sie nickte freundlich und drückte sie mir in meine kleine Faust. Die Stewardess meinte, ich solle diese Bonbons lutschen, damit mir nicht übel würde, ich nicht luftkrank würde. Ich steckte einen der Bonbons, eingeschüchtert von all den fremden Eindrücken, folgsam in meinen Mund. Die Bonbons schmeckten gut, jedoch bewahrten sie mich keineswegs von der befürchteten Luftkrankheit. Es dauerte nicht lange und ich mußte die merkwürdige Tüte benützen, die im Netz des Sitzes vor mir steckte. Mir war entsetzlich übel und es nützte auch nicht viel, die winzigkleine Welt von oben zu betrachten.
Der Flug nach Frankfurt dauerte etwas mehr als zwei Stunden.

 

Jahrgang 1948, werde ich auf dem Gut Groß-Below in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Nach der Flucht aus der DDR, lande ich mit meinem Vater, einem Hochbauingenieur, meiner Mutter und deren Mutter über mehrere Stationen, in Rheinland-Pfalz und der Eifel, schließlich im Ruhrgebiet...

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