Das Hexenhäuschen
In der Vorweihnachtszeit bekam ich zum ersten Mal in meinem achtjährigen Leben einen Weihnachtskalender. Keinen Flachen, sondern ein Hexenhäuschen aus Pappe mit vierundzwanzig Fensterchen, eins für jeden Tag bis zum Heiligabend. Ich konnte es kaum erwarten, morgens ein Fensterchen davon öffnen zu können. Nie wieder hatte ein Weihnachtskalender diese Faszination für mich wie in diesem Jahr. Im Übrigen bekam ich nicht in jedem darauf folgenden Jahr einen neuen Kalender. Der Alte wurde zusammengefaltet und im nächsten Jahr wieder hervorgeholt. Ich hatte dann längst wieder vergessen, was sich hinter den Fensterchen für Überraschungen befanden. Aber der Gipfel der Glückseeligkeit war, ich durfte mir einen Rauschgoldengel basteln. Er war fünfundzwanzig Zentimeter hoch, aus Goldpapier und bekam gefaltete Ärmel und ein gefaltetes Kleid. Den Kopf knetete ich aus noch warmen Rückständen einer Kerze. Die Frisur meines Engels bestand aus langem gewelltem Engelshaar. Ich war absolut hin und weg, dass ich dies alles kaufen konnte, selbstverständlich auch das Engelshaar. Dies war überhaupt nicht selbstverständlich für mich, denn in der DDR, aus der wir vor zwei Jahren gekommen waren, gab es all diese Dinge nicht, jedenfalls nicht offen über den Ladentisch. In der Eifel, beim Anblick von Glaswolle, glaubte ich noch, dies sei Bastelmaterial für Weihnachtsengel. Als ich es voreilig in die Hand nahm und dies „Engelshaar“ fürchterlich piekste, ließ ich schnell ab von meinem Vorhaben mir darausein engelsähnliches Geschöpf zu basteln.
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