Storch im Salat

Zweimal Jemarkenplatz bitte!…..

Ende der Fünfziger waren mein Freund Engelbert und ich zum ersten Mal dran mit der Kinderlähmungsimpfung. Es war seinerzeit noch keine Schluckimpfung, wie ein paar Jahre später, sondern eine höchst unangenehme Sache mit der Injektionsnadel. Unsere Mütter entschlossen sich, uns beiden Kinder sozusagen in einem Abwasch gemeinsam impfen zu lassen. Überdies vermuteten sie wohl, würde uns die Sache leichter fallen und den Angstpegel senken.
An einem strahlend schönen Frühsommernachmittag, machten sie sich mit uns auf den Weg zur Impfstelle. Die war einige Straßenbahnhaltestellen entfernt, im Stadtteil Magarethenhöhe, einer Kruppsiedlung, mit alten Einfamilienhäusern im Fach-werkstil und romantischen Vorgärten mit Kletterrosen davor.
Unsere Linie kam, wir stiegen ein und gingen zum Lösen unserer Fahrscheine zur Straßenbahnschaffnerin, die neben der hinteren Tür jeden Wagens etwas erhöht, hinter einem kleinen Tresen, saß.
Elsa Pohl war mit ihrem Sohn vor uns dran. Sie forderte ihren Fahrschein sehr laut und in reinstem, breitestem Ostpreußisch, denn sie stammte aus dem obersten Teil Ostpreußens, aus Königsberg.
Sie posaunte ihr Fahrziel derart laut heraus, daß ich vermutete, daß jeder, der sich in der Straßenbahn befand, mitbekommen hatte, wohin sie wollte und aus welchem Fleckchen Deutsch-lands sie stammte. Ich bewunderte die Mutter meines Freun-des für ihre Unbefangenheit. Oder war es Absicht? Als sie die Fahrscheine forderte und bezahlte, blickten sich fast alle, im Wagen befindlichen, Fahrgäste neugierig zu ihr um und starrten sie an. Ihr schien dies völlig egal zu sein, oder sie ließ es sich nicht anmerken.
Nach ihr waren wir dran. Bei meiner Mutter und mir ging es während des Fahrscheinkaufs schon etwas weniger laut zu, obwohl meine Mutter Zeit ihres Lebens auch nicht zu den Lei-sesten und Zurückhaltesten gehörte.
Wir Vier fuhren einige Stationen und stiegen am Ziel aus.
Nach dem Impfen, über das nichts Bemerkenswertes zu be-richten ist, ging die Fahrt retour nach Hause. Wir stiegen in die Linie zehn ein und das Schauspiel in der Straßenbahn be-gann von vorn. Wieder forderte die Mutter meines Freundes ihren Fahrschein in voller Lautstärke, wie auch schon auf der Hinfahrt: „ZWEIMAL JEMMARRRKENPLAETZ!“ dröhnte es: Aus dem G bei Gemarkenplatz wurde ein J in reinstem Ost-preußisch. Alle zuckten ob der Lautstärke erneut zusammen und blickten erstaunt die schlanke und ansonsten völlig unauffällige Frau an, aus deren Mund dies gekommen war. Es war schon ein Erlebnis mit Elsa Pohl Straßenbahn zu fahren. Die-ser Vorfall hätte mich peinlich berühren können, was aber mitnichten der Fall war.
Es war für mich ein absolutes Erlebnis und kostenlose Thea-tervorstellung dazu.

Jahrgang 1948, werde ich auf dem Gut Groß-Below in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Nach der Flucht aus der DDR, lande ich mit meinem Vater, einem Hochbauingenieur, meiner Mutter und deren Mutter über mehrere Stationen, in Rheinland-Pfalz und der Eifel, schließlich im Ruhrgebiet...

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