Storch im Salat

Kistenmeier

In den fünfziger und sechziger Jahren sammelte meine Mutter gebrauchte Kleidung für ihre Freundin Gerdi in der DDR.
Die lebte mit ihrer fünfköpfigen Familie, bestehend aus Vater, Mutter und ihren drei Kindern in Stralsund an der Ostsee.
Der Sammelleidenschaft meiner Mutter nach zu urteilen, hätte die Familie ihrer Freundin allerdings wesentlich größer sein müssen.
Alles, was meine Mutter so im Lauf der Jahre zusammentrug, stammte ausschließlich aus dem Haus, in dem wir seinerzeit lebten, dem achtstöckigen Hochhaus.
Es war in unserem Haus bekannt, daß meine Mutter für die arme bedürftige DDR-Bevölkerung sorgte. Sie mußte nicht von Tür zu Tür gehen; um an, übrigens sehr gut erhaltene, gebrauchte Kleidungsstücke zu kommen. Meist wurden uns die Klamotten an der Wohnungstür abgegeben. Wenn uns die abgelegten Hosen, Blusen und Röcke nicht auf diese Weise erreichten, so brauchte meine Mutter nur ins Untergeschoß gehen. Dort gab es einen für alle Mieter zugänglichen Raum, in dem abgelegte; für die Entfernung gut befundene Gegenstände der Mieter deponiert wurden, um schließlich vom Klüngelskerl, und nicht von der Müllabfuhr, entsorgt zu werden.
Dieser Klüngelskerl war ein Mann, der mit Pferd und Wagen in der Stadt umherfuhr; um alte Möbel, Kleidung oder andere Gegenstände einzusammeln, um Geld mit ihnen zu machen.
Sehr viele dieser gebrauchten Hosen, Oberhemden ect. stammten übrigens von einer Familie Meier, im ganzen Haus nur Kistenmeier genannt. Diese Meiers hatten allem Anschein nach zu viel Geld und einen rasanten Verbrauch an Kleidung, die sie in schöner Regelmäßigkeit, in Kartons verpackt, in dem bewussten dazu ausersehenen Raum im Keller entsorgten. Jene Kartons schleppte dann meine Mutter triumphierend nach oben in unsere Wohnung.
Es war wirklich erstaunlich, wie gut es einigen Menschen, so relativ kurz nach dem Krieg, zu gehen schien; wir gehörten jedenfalls nicht zu jenen Glücklichen. Mitunter waren meine Eltern versucht, einige der weggeworfenen Sachen die sich in exzellenten Zustand befanden, für unseren eigenen Gebrauch abzuzweigen, trauten sich aber nicht so recht. Es wäre ihnen gundpeinlich gewesen Meiers mit den vor kurzem noch ihnen gehörenden Kleidern unter die Augen zu treten. Also bekam Tante Gerdi und Familie all die schönen Sachen.
Von Jahr zu Jahr fiel es meiner Mutter jedoch schwerer, die tollen Klamotten in die DDR zu schicken. Sie fragte sich inzwischen, wohl auch völlig zu recht, was ihre Freundin mit alledem, und es war wirklich nicht wenig, anfing; ob sie nicht etwa einen einträglichen Handel mit dem ganzen Kram aufgemacht hatte. Meine Mutter ging plötzlich auf, daß sie die halbe DDR-Bevölkerung mit Kleidung eingedeckt hatte. Ihre Freundin Gerdi hatte sich immer überschwänglich, brieflich für all den Kleidersegen bedankt, jedoch nie erwähnt, was sie damit getan hatte.

Jahrgang 1948, werde ich auf dem Gut Groß-Below in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Nach der Flucht aus der DDR, lande ich mit meinem Vater, einem Hochbauingenieur, meiner Mutter und deren Mutter über mehrere Stationen, in Rheinland-Pfalz und der Eifel, schließlich im Ruhrgebiet...

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert