Ich musste Haare lassen

Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Kurz vor Weihnachten 2001, bemerkte ich, dass, wenn ich mir, wie es meine Gewohnheit ist, mit allen fünf Fingern der linken Hand durch meine Kurzhaarfrisur strich, um sie ohne Kamm in Ordnung zu bringen, an meinen Fingern, das eine oder andere Haar hängen blieb. Dies war an sich noch nicht beunruhigend, jedoch hatte ich den Eindruck bei jedem Strich, wurden es ein wenig mehr Haare. Ich wünschte, dies würde aufhören, was es nicht tat. Ich begann den Zustand meiner Haare argwöhnisch zu beobachten. Morgens, nach dem Aufwachen hatte ich den Eindruck, dass sich besonders viele Haare verabschiedeten. Ich konnte mir ganze Büschel aus der Kopfhaut ziehen. Wenn dies so weiter ging, vermutete ich, hätte ich bald kahle Stellen auf dem Kopf. Grauenhafte Vorstellung. Was sollte das? Woher kam dies? Es verwirrte mich, brachte mich zur Verzweiflung. Es hatte schon obzessive Züge, wie ich meine sich verabschiedende Haarpracht belauerte. Ich betrachtete sie fast dauernd, mal von der Seite im Profil, mal von vorne, unten mit und ohne Zuhilfenahme eines Zweitspiegels. Mal von vorne mit Lampenbeleuchtung, mal schräg von der Seite im grellen schonungslosen Vormittagslicht. Es ließ sich nicht vertuschen, im Bereich der Stirn, des Vorderkopfes wurden meine Haare spärlicher. Die Tortur wollte irgendwie kein Ende nehmen. Erst diese grauenhaften Schweißausbrüche, und jetzt nachdem das besser geworden war, verabschiedeten sich meine Haare, meine schönen dichten Haare.

Ich nervte meine Familie schrecklich, weil ich immer und immer wieder von ihnen wissen wollte, wie stark mein Haarausfall von außen sichtbar war, wie ich auf meine Umwelt wirkte. Natürlich glaubte ich ihnen nicht, wenn sie mich zu trösten versuchten, alles sei nicht so tragisch, wie ich es vermutete.

Ich versuchte, herumzutricksen, mir meine Haare so zu frisieren, dass es nicht gar so auffiel, was nicht so recht klappen wollte und erwog schließlich mir eine Perücke zu besorgen, wenn, ja wenn ich noch mehr Haare verlor. Wann war dieser Zeitpunkt? Ich wusste es nicht. Gab es überhaupt den richtigen Zeitpunkt?

Ich konnte die Haare, die mich verlassen wollten nicht dadurch zurückhalten, dass ich sie argwöhnisch belauerte. Also beschloss ich irgendwann, mich mit diesem Zustand zu arrangieren. Irgendwann war es mir zu blöd mich zu beobachten. Und siehe da, der Haarausfall stagnierte irgendwann. Es dauerte natürlich noch ganz schön lange bis mein Haarschopf wieder dichter wurde und bis dahin war es mir, nicht nur wegen der Schweißausbrüche nicht sehr angenehm unter Menschen zu gehen.

Heute, sieben Jahre später, ist mein Haarwuchs wieder eheblich dichter, aber dennoch ist er nicht mehr so, wie vor sieben Jahren. Aber was ist schon heute so wie vor sieben Jahren? Alles hat sich verändert und damit auch meine Haare, die ganz nebenbei noch ein wenig grauer geworden sind, wie seinerzeit.

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