Konfrontation mit der Realität

Da es heutzutage leicht ist, mit Hormonersatzbehandlungen sich gewisse Unbill vom Hals zu halten, ist es höchst unpopulär sich dafür zu entscheiden nicht pflegleicht zu sein und seiner Umwelt ein Wesen zuzumuten, das zum Beispiel unmotiviert knallrot anläuft vor Hitze fast umkommt und in den Minuten darauf in Schweiß gebadet dasteht und versucht sich seinen Kleidungsstücken zu entledigen und gleichzeitig Schiss hat, wenn sie zu viel auszieht sich zu erkälten. Ich versuchte den irritierten und peinlich berührten Blicken auszuweichen und diese Reaktion auf mich zu ignorieren.
In der Zeit, als ich, vor Hitze fast explodierte und hinterher unter Wasser stand, musste ich mich sehr oft zahnärztlich behandeln lassen und erlebte diese peinlich berührten Blicke des öfteren im Wartezimmer meiner Zahnärztin.
Im Frühsommer , es war schon richtig schön heiß, wagte ich nicht, wie nur ein Jahr zuvor, nur mit einer leichten Bluse bekleidet im Wartezimmer herumzusitzen. Das wenigste, was ich trug, war ein warmes Sweatshirt über einer Bluse und darunter ein wollenes oder seidenes Unterhemd, das im Notfall meine übergroße Schweißproduktion aufnehmen konnte und um meinen Hals ein Seidentuch, das mich die Verdunstungskälte am Hals nicht so spüren ließ. Im Wartezimmer war es mehr als stickig, einer Sauna ähnlich und ich saß mittendrin. Natürlich beneidete ich alle Frauen um mich herum glühend, die leichtbekleidet ohne Sweatshirt und Wollunterwäsche auf ihre Behandlung warten konnten.
Ich weiß nicht, was seinerzeit unangenehmer war, die Angst vor dem Bohrer, die bei mir auch nicht gerade klein war, oder in eigener Dunstwolke herumzusitzen und zu vermuten, entweder am Hitzschlag zu sterben oder dem Gegenteil sich fürchterlich zu erkälten.
Auf der Hin- und Rückfahrt im Taxi, ging es mir nicht besser.Dort war es genauso heiß und unangenehm wie in der Praxis. Der Taxifahrer, es war selbstverständlich stets ein Mann und auch nicht von Hitzewellen geplagt, saß meist verbarrikadiert bei geschlossenen Fenstern. Ich machte auf der kurzen Fahrt launige Konversation, um ihn nicht merken zu lassen, wie es um mich stand. Wie sich denken lässt, war ich mehr als froh nach jedem meiner seltenen Ausflüge wieder den heimatlichen sicheren Hafen erreicht zu haben.
Zwei Jahre später, als ich mich schon wieder traute, gemeinsam mit meinem Mann, samstägliche Einkäufe im Supermarkt zu erledigen, ging es mir zwar schon besser, meine Hitzewallungen und Schweißausbrüche waren etwas reduziert, jedoch konnte es durchaus passieren, dass ich kurz vor Ende des Einkaufs, wir marschierten gerade durch die Kasse, plötzlich im Schweiß gebadet dastand und so wie ich war, unmöglich mit dem vollen Einkaufskorb den Supermarkt verlassen konnte, um zu unserem Auto zu gehen. Vor allem im Winter in der kalten Jahreszeit ging das nicht, denn mein Kopf, mein Hals und mein Haar fühlten sich klatschnass an. Ich kam mir mehr als blöd vor, mich mit Kapuze und Umschlagtuch fest einzumummeln, um den Weg zum Auto heil zu überstehen. Ich glaubte, jeder müsse mein Verhalten seltsam finden und merken, was mit mir los sei.
Es brauchte schon einige Zeit, um diesbezüglich mehr Selbstbewusstsein aufzubauen um einfach das zu tun, was sinnvoll war und was ich brauchte. Auch um meine Minderwertigkeitskomplexe in den Griff zu bekommen brauchte es viel Zeit. Ich betrachtete das, was mich ständig zu jeder Zeit beuteln konnte, als großes Hindernis als Behinderung, etwas das mich von meinen übrigen Mitmenschen trennte, etwas das nicht wenig einsam machte. Ich begann etwa gleichaltrige Frauen verstohlen von der Seite zu betrachten, wenn ich an der Kasse im Supermarkt stand . Wie kamen meine Altersgenossinnen mit den Wechseljahresbeschwerden, die sie doch wohl haben, mussten klar? Anzumerken war ihnen jedenfalls nichts. Hatten sie auch Hitzewallungen und Schweißausbrüche in den unpassensten Momenten? Vielleicht so wie ich genau dann, wenn ich meine gekauften Waren aufs Band packen musste und von da wieder zurück in den Einkaufskorb? Und dann zu allem Überfluss mit rotem Kopf und, spürend wie mir der Schweiß ausbrach, bezahlen zu müssen.
Ich registrierte nur, dass ich mich mit etwas herumschlagen musste, dass ich bei keiner anderen Frau, auch bei intensivster Betrachtung nicht, beobachten konnte. Ich war also allein auf weiter Flur, und das zu erkennen und einzusehen zu müssen, ist schon hart.

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